Der Kinofriedhof




Braunschweig ist voll von ehemaligen Kinos. Warum sterben die Filmpaläste
in dieser Stadt? Es gibt viele Gründe. Erstens haben wir die Glotze, die
mit ihrer bequemen Anspruchlosigkeit, die Leute abends zu Hause bindet.
An den potenziellen Zuschauern liegt es auch. Der Braunschweiger ist eine
ausgesprochene Couchpotato. Schliesslich liegt es auch an der Filmin-
dustrie. Sie scheint ihre Filme für eine bestimmte Zielgruppe zu produ-
zieren: Unreife 14jährige und solche, die auf diesem Niveau geblieben
sind. Zu viele weisse Haie, Katastrophenfilme, amerikanische Polizei-
schüler und Rambos haben ein reifes, erwachsenes Publikum fern von den
Lichtspielhäusern gehalten.



Hier sieht man das Kino "Schauburg", das größte Kino Braunschweigs. Es war
in der ehemaligen Reiterhalle des Braunschweiger Schlosses untergebracht.
Es wurde abgerissen als das Viertel hinter dem Schloß saniert wurde.




So sieht es heute aus. Dort, wo die Schauburg stand, sieht man eine Reihe
von langweiligen Geschäften.




"Scala" war ein Paradies für Schulschwänzer. Die erste Vorführung war
morgens früh und man konnte rein- und rausgehen, wann man wollte. Im
Programm waren meistens Western-, Kriegsfilme und Krimis. In den 70er
Jahren gab es im Obergeschoß noch ein Sexkino. Ende der 80er Jahre gab es
nicht mehr genug Schulschwänzer; sie blieben zu Hause bei der Glotze oder
bei ihren Computerspielen. Die Vormittagsvorstellungen fielen aus und man
versuchte aus "Scala" ein anspruchsvolles Kunstkino zu machen. Als dieser
Versuch auch mißlang machte das Kino Platz für einen Jeanspalast. Da, wo
sich früher die Cineasten trafen, treffen sich heute die Markenfetischisten.
Der Kohlmarkt ist ohne Scala ärmer und leerer geworden.



Ein Filmplast der guten alten Schule war "Gloria". Geräumig, bequeme Sitze
und oft anspruchsvolle Filme. Es ging nicht nur um sich einen Film anzu-
sehen, der Kinobesuch war ein Erlebnis. Gloria war das erste Multiplexkino
der Stadt: Man setzte nebenan die kleinere "Hansa". Als "Gloria" und "Hansa"
starben, verlor Braunschweig seine erste Kinoadresse. An dieser Stelle
findet man jetzt einen Videoshop. Statt ins Kino zu gehen, holen die Leute
jetzt an der Wendenstrasse die Filme für ihr Pantoffelkino.



Am Rebenring gegenüber dem "Affenfelsen" gab es auch ein Kino. Die Nach-
mittagsvorstellungen waren sehr populär bei den Studenten. Man durfte sein
Bier mitbringen und die hartgesottenen brachten gleich ganze Container mit.
Die Spezialität des Programms waren Krimis. Das Kino machte Platz für ein
Möbelgeschäft, das auch Pleite ging.



Das Schloßtheater hatte auch Vormittagsvorstellungen für Schulschwänzer.
Dann kam die Sexrevolution der 70er Jahre und es ist aus dem Schloßtheater
ein Sexkino geworden. Es war so erfolgreich, dass es einen kleinen Bruder
im Obergeschoß bekam. Ende der 80er Jahre war es aber auch damit vorbei.
Die Couchpotatoes fingen an, ihre Sexfilme im Wohnzimmer anzusehen und das
Kino musste schliessen. Aus dem Kino ist eine Disco und ein Discountladen
geworden.




Dieses freundliche Kino an der Kreuzstrasse quer gegenüber der Realschule
war ein echtes Nachbarschaftskino, wo man sich abends mit Freunden und
Nachbarn traf. Als die Nachbarn und Freunde nicht mehr kamen, ist das Kino
stil und leise gestorben. Erst kam ein Supermarkt, der nicht lange hielt.
Heute ist im ehemaligen Kino eine Spielhalle (symptomatisch für die Ent-
wicklung der Kultur in Braunschweig?)



An der Gliesmaroder Strasse neben dem Gliesmaroder Bahnhof gab auch ein
freundliches Kino, das ein echtes Familienunternehmen war. Es lag am Ost-
bereich der TU und war sehr beliebt bei Studenten. Eine andere Zielgruppe
war das Proletariat, das in diesem Stadtviertel reichlich vorhanden ist.
Die Programmspezialität waren Lustspiele. Als die Finanzen nicht mehr
stimmten ist aus dem Kino ein Bettenlager geworden, das mit billigen
Preisen die Kunden locken wollte. Als die Gegend keine Betten mehr
brauchte kam eine Baufirma hierher. Die Baufirma ist jetzt auch nicht mehr
da und das Gebäude wartet auf den Abriß.



Hier am Waisenhausdamm war ein anspruchsvolles Kino mit viel Komfort und
einem guten Programm. 1979 wurde es vom expandierenden C&A geschluckt.
Dort, wo man früher schöne Filme sehen konnte, kauft man nun Unterwäsche.




Das "Lido" am Kalenwall entstand in den Resten eines Bunkers aus dem 2.
Weltkrieg. Wegen der Höhe des Bunkers war es eins der wenigen Kinos in
Braunschweig mit einer Gallerie. Bis in der Mitte der 60er Jahre sah man
hier gerne Western und Heimatfilme. Dann hat man aus "Lido" ein Sexkino
gemacht. In dieser Zeit ist das Kino sehr runtergekommen und 1984 hat
das Ordnungsamt das Kino wegen Schmutz und unhygienischer Verhältnisse
geschlossen. Nach einer Renovierung versuchte man hier ein Filmkunstkino
zu installieren. Das hielt nicht lange und heute findet man dort eine
Diskothek.




Was dem Freund von guten Filmen am meisten weh getan hat, war der Unter-
gang von "Regina". Dieses Theater war vom Anfang an als ein Tempel der
Filmkunst gedacht. Hier konnte man echte Perlen der Filmkust von heute
und gestern sehen. Der Kinobesitzer hatte eine gute Idee im Kampf gegen die
Glotze gehabt: Er installierte im Foyer einen Fernseher, damit die Kino-
besucher vor dem Film noch ihre Tagesschau sehen konnten. Das ging nicht
gut. Die GEZ verlangte horrende Gebühren, weil dieser Versuch als öffent-
liche Vorführung galt. Manchmal frage ich mich, wie kann überhaupt was
Vernünftiges in Deutschland entstehen. Heute residiert in "Regina" ein
kleines Boulevardtheater.